Es war ein großer Tag für Trossingen, als am 8. November 1924 ein neues, für die damalige Zeit sehr modernes Schulgebäude eingeweiht werden konnte, dem man als einem Werk des Friedens den Namen Friedensschule beilegte.
Als der erste Spatenstich ausgeführt wurde, war der Wert des US-Dollars gerade auf die schwindelerregende Höhe von 4,2 Billiarden Mark geklettert. Dennoch wagte es der Trossinger Gemeinderat, mit dem Bau dieses Hauses die unzureichenden Schulverhältnisse entscheidend zu verbessern.
Nach den Plänen von Regierungsbaumeister Dr. Döcker aus Stuttgart und unter der Leitung des Trossinger Ortsbaumeisters Achauer wurde das Haus als „Sammelschulgebäude“ errichtet. Man staunt heute darüber, wie vielseitig das neue Schulhaus genutzt wurde: es vereinigte unter seinem Dach eine Volksschule, eine Frauenarbeitsschule, eine Industrieschule (womit der Handarbeitsunterricht gemeint war), dazu eine Handels- und Gewerbeschule, eine Realschule, eine Haushaltungsschule und noch Räume für den Werkunterricht der Buben.
Die verschiedenen Stockwerke wurden durch einen elektrischen Aufzug miteinander verbunden. Dieses Denkmal deutscher Technik arbeitet noch heute einwandfrei. Etwas ganz Neues stellten damals auch die Drahtglaswände in den Aborten dar. Die Klassenräume, für etwa 25 Schüler berechnet, waren dagegen jahrzehntelang zu klein.
In den Zeiten großer Schülerzahlen war es dort so eng, dass man sich kaum umdrehen konnte, ohne irgendwo anzustoßen oder etwas umzuwerfen. Erst die geringeren Klassenstärken heute lassen Lehrern und Schülern beim Lernen so viel Luft und Bewegungsfreiheit, dass man sich wohlfühlen kann.
Der Architekt wollte das große Schulhaus nicht einfach als massigen Klotz in seine Umgebung stellen. Aus diesem Grund ist das Bauwerk mehrfach abgewinkelt. Auch ist es nicht überall gleich hoch. Hausmeisterwohnung und Turnhalle sind niedriger als das Hauptgebäude mit dem Uhrturm.
Das Satteldach mit dem spitzen Giebel passt sich an heimatliche Bauformen an. Beton und Backsteine sind wegen ihrer Bedeutung als wichtige Baumaterialien bewusst sichtbar gelassen worden. Die tiefen Nischen an den Eingängen sollen den Näherkommenden gleichsam zum Eintreten ermuntern.
Die Bedeutung der Eingänge wird noch durch Inschriften betont, die auf die pädagogische Aufgabe des Hauses hinweisen. So liest man am Südportal die Worte: „Jugend – Freude – Sonne – Alter – Reife – Glück“, und am Ostportal steht in Stein gehauen: „Wachsen – Werden – Blühen – Wagen – Wissen – Können“.
Doch nicht immer sind es Schulkinder gewesen, denen diese Türen Einlass gewährten. Im Februar 1945 hielt am Stadtbahnhof ein Zug mit vielen Wagen, der die ganze Ausrüstung des Reservelazaretts Emmendingen nach Trossingen brachte. Die näherrückende Front am Oberrhein machte seine Verlegung in ein Gebiet notwendig, das vom Krieg weniger gefährdet war. Als geeignetes Gebäude wurde ihm die Friedensschule zugewiesen, und bald darauf trafen auch die ersten verwundeten Soldaten ein.
Nach Kriegsende wurde das Lazarett wieder aufgelöst und die Friedensschule verwandelte sich in eine große Kaserne. Aus Chatillon sur Indre in Südfrankreich zogen 450 Mann vom 118. Infanterieregiment ein, die in Trossingen ihren Militärdienst als Besatzungstruppe ableisten mussten. Doch auch für diese Soldaten schlug einmal die Stunde der Heimkehr, und seit 1950 dient die Friedensschule wieder der Bildung der Jugend.
Heute sind es Kinder, die hier die Grundschule besuchen. Außerdem wird ein Teil der Räume von der Städtischen Jugendmusikschule genutzt.
Freilich hat eine über 50jährige Geschichte auch ihre sichtbaren Spuren hinterlassen. Im Zeichen der Energiesparmaßnahmen muss die altersschwache Heizung durch eine neue ersetzt werden. Dicht schließende Fenster werden benötigt, und die Errichtung der Klassenzimmer bedarf einer dringenden Erneuerung. In diesen Tagen wurde mit der Renovierung begonnen, und das Stadtbauamt achtet darauf, dass dabei der Charakter des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes erhalten bleibt. Das gilt vor allem für die vielen neuen Fenster, die den bisherigen Sprossenfenstern gleichen sollen.
1924 schrieb ein Chronist zur Einweihung der Friedensschule folgende Worte, die auch noch heute ihre Bedeutung haben: „Vielleicht sind die Augen, die imstande sind, diese Bauweise begreifend zu schauen, noch nicht allen eigen. Zu sehr sind die meisten an das billig gefällige, an das gedankenlose Äußere auch in der Architektur gewöhnt. Die Kinder und die jungen Menschen, denen diese zweckvolle und schöne Schule gebaut wurde, werden froh in ihr arbeiten.“
von Karl Martin Ruff